Sitzung: 22.05.2023 Marktgemeinderat Schöllkrippen
Beschluss: zugestimmt
Abstimmung: Ja: 15, Nein: 2, Enthaltungen: 0, Befangen: 0
Sachverhalt:
I.
Hintergrund
Die Energiewende in Deutschland ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung kommt
den Kommunen zur Umsetzung der Energiewende auf regionaler und lokaler Ebene
eine Schlüsselrolle zu. Sie sollen die Vorgaben der Bundesregierung und der
Staatsregierung konkret umsetzen und den Ausbau der erneuerbaren Energien
vorantreiben. Insbesondere in Bayern hat das Thema in den letzten Monaten
deutlich an Fahrt aufgenommen:
·
Durch das „Wind-an-Land-Gesetz“ müssen
die Planungsverbände bis Ende 2032 1,8 Prozent der Landesfläche für
Windenergie ausweisen, um eine Privilegierung von Windkraftanlagen im
Außenbereich zu vermeiden. PV-Freiflächenanlagen sind bereits an Autobahnen und
Schienenstrecken privilegiert. In vielen Gemeinden sind schon Projektenwickler
und Unternehmen aktiv, sprechen Landwirte und Grundstückseigentümer an und
sichern sich potentiell geeignete Flächen, um EE-Projekte zu realisieren und
Gewinne aus der Stromerzeugung zu realisieren oder sich selbst mit günstigem
Strom zu versorgen. Die Gemeinden sind mit einer wachsenden Zahl an
entsprechenden Bauanträgen oder Anträgen für vorhabenbezogene Bebauungspläne
konfrontiert.
·
Von den Gemeinden wird gefordert, die
Energiewende vor Ort zu koordinieren und zu moderieren. Sie sollen Kriterien
und Konzepte entwickeln, wo und welche EE-Anlagen im Gemeindegebiet errichtet
werden dürfen. Dabei sollen sie auch die Akzeptanz der Bürger berücksichtigen.
·
Industrieunternehmen fordern
mittlerweile aktiv den Bezug von regional erzeugter erneuerbarer Energie. Die
Verfügbarkeit von regional erzeugtem Strom wird dabei in doppelter Hinsicht zum
Standortfaktor. Zum einen sind insbesondere durch den Ukraine-Krieg die
Strompreise massiv gestiegen. Dies hat den vergleichsweise günstigen
Direktbezug von Strom aus EE-Anlagen für Unternehmen attraktiv gemacht. Zudem
müssen sich auch Unternehmen nachhaltig aufstellen und ihre Treibhausgasbilanz
verbessern. Ein entscheidender Faktor dabei ist der Bezug von erneuerbaren
Energien.
·
Auch für viele Gemeinden ist das Thema
günstige Energie im letzten Jahr in den Fokus gerückt. Bei den Ausschreibungen
zur Strombeschaffung haben sich die Marktturbulenzen unmittelbar auf den
kommunalen Haushalt ausgewirkt. Viele Kommunen mussten im letzten Jahr für das
Lieferjahr 2023 den Zuschlag auf einen Strompreis von 40 ct/kWh bis zu
105 ct/kWh erteilen. Für die Versorgung der eigenen kommunalen
Liegenschaften ist daher die Beschaffung von regional erzeugtem Strom über
Direktlieferverträge (PPAs) eine Alternative zur reinen Beschaffung über
Vollversorgungsverträge mit Abhängigkeit vom Börsenpreis. Die
Einspeisevergütung nach dem EEG beträgt derzeit 7,1 Cent pro kWh. Zu diesem
Preis können entsprechende Windkraft- oder PV-Freiflächenanlagen Strom in das
Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen und wirtschaftlich betrieben werden.
Alternativ kann ein entsprechend günstiger Preis über Direktlieferverträge an
Letztverbraucher z.B. die Kommunen weitergeben werden. Durch den Ausbau eigener
erneuerbarer Energien Anlagen können daher langfristig die Belastungen für die
kommunalen Haushalte verringert und gleichzeitig die eigenen Treibhausgasbilanz
der Kommunen verbessert werden.
·
Der Netzausbau ist in den letzten
Jahren nicht ausreichend vorangekommen, um die benötigte Anzahl an PV-Anlagen
oder Windkraftanlagen an das Netz anzuschließen und die erzeugte Energie
abzunehmen. Die Netzbetreiber sind hier auch auf die Kommunen angewiesen, die
durch ihre Konzepte, Kriterien und das Baurecht festlegen, wo EE-Anlagen errichtet
werden dürfen. Die Netzbetreiber können den Netzausbau dann nach diesen
Kriterien ausrichten.
Um
diesen Herausforderungen gerecht zu werden und die Wertschöpfung in den
Kommunen zu halten, bietet es sich an, mit Hilfe einer gemeinsamen, rein kommunalen
Gesellschaft der Gemeinden und des Landkreises die Energieerzeugung vor Ort
selbst in die Hand zu nehmen. Dies wird beispielsweise im benachbarten
Landkreis Haßberge bereits durch eine kommunale Gesellschaft umgesetzt.
Am
31.03.2023 haben sich die Bürgermeister und der Landkreisgemeinden und der
Landkreis Aschaffenburg daher von der Kanzlei Becker Büttner Held über die
grundsätzliche Möglichkeit und rechtliche Umsetzungsmodelle zum eigenen
wirtschaftlichen Engagement im Bereich der Erneuerbaren-Energien informieren
lassen.
Die
auf Energierecht und die Beratung von Stadtwerken und Kommunen spezialisierte
Kanzlei berät derzeit in Bayern mehr als 30 Landkreise bei der Gründung
gemeinsamer Gesellschaften oder bei der Erarbeitung eines Konzepts für die Gründung
solcher Regionalwerke / Kreisenergiegesellschaften.
II. Konzept
Regionalwerk
Beim
Aufbau eines gemeinsamen Regionalwerks schließen sich die beteiligten Gemeinden
und der Landkreis zu einer gemeinsamen Gesellschaft zusammen. Durch die
gemeinsame Umsetzung erneuerbarer Energien Projekte im Landkreis können
finanzielle und organisatorische Synergien geschaffen werden, die Wertschöpfung
bleibt in den Kommunen, wodurch auch die Akzeptanz vor Ort erhöht wird, die
Gemeinden können ihre Pläne und Konzepte untereinander und mit dem
Netzbetreiber abstimmen und langfristig können die Kommunen und ihre Bürger mit
günstigem erneuerbarem Strom versorgt werden. In einem Regionalwerk können
außerdem weitere (je nach Rechtsform auch hoheitliche) Tätigkeiten gebündelt
werden.
III. Tätigkeit
und möglicher Aufbau des Regionalwerks
Das
gemeinsame Regionalwerk hätte zunächst die Aufgabe, mögliche Projekte in den
beteiligten Gemeinden zu finden und zu entwickeln. Dazu gehört unter anderem
die Ermittlung geeigneter Flächen, die Flächensicherung durch Pachtverträge mit
den Eigentümern, die Einholung der nötigen Genehmigungen (vorhabenbezogener
Bebauungsplan, Baugenehmigung, BImSchG Genehmigung bei Windkraft) und sonstiger
Gutachten. Die Finanzierung und die Errichtung der Anlagen eines Projekts
erfolgt dann aus Gründen der Haftungsbegrenzung und der besseren
Finanzierbarkeit (Bankendarlehen) in separaten (Tochter-)Gesellschaften
(Projektgesellschaften). Nach der Entwicklung
eines Projekts im Regionalwerk, werden die Projektrechte an die Projektgesellschaft
verkauft, wodurch im Regionalwerk ein Gewinn entstehen kann, der allen
beteiligten Kommunen zugute kommt. An diesen Projektgesellschaften können sich
die einzelnen Kommunen direkt oder indirekt beteiligen und entscheiden ob sie
das jeweilige Projekt (Errichtung und Betrieb der Anlage) weiter finanzieren
wollen. Die Höhe und die Art der finanziellen Beteiligung der Kommunen
an den Projektgesellschaften kann je nach gewünschtem Modell rechtlich
unterschiedlich ausgestaltet werden. An den Projektgesellschaften können auch
Dritte, wie Stadtwerke, Bürgerenergiegenossenschaften oder Industrieunternehmen
beteiligt werden. Auch weitere Formen der Bürgerbeteiligung sind auf Ebene der
Projektgesellschaften möglich.
Das
Regionalwerk kann dann als großer (oder sogar größter) Projektentwickler im
Landkreis den Netzausbau gebündelt mit dem Netzbetreiber abstimmen. Auch mit
weiteren für die Energiewende zentralen Akteuren wie dem Bauernverband kann das
Regionalwerk zusammenarbeiten, die Landwirte an der Wertschöpfung beteiligen
und z.B. Pachtverträge landkreisweit abstimmen. Auch insofern hat das
Regionalwerk über die Bündelung der Interessen vieler Kommunen eine gewisse
Schlagkraft und Bedeutung v.a. gegenüber Netzbetreibern. Zudem kann eine
gebündelte Anfrage bei den Netzbetreibern zeitliche Vorteile bringen, da sich
der Netzbetreiber nicht laufend mit einzelnen Anfragen befassen muss.
Je
nach Rechtsform und gewünschtem Modell ist es möglich, langfristig auch
hoheitliche Aufgaben, wie z.B. die Straßenbeleuchtung oder die
Klärschlammverwertung auf das Regionalwerk zu übertragen. Denkbar ist auch die
Zentralisierung von Aufgaben wie IT-Leistungen für Schulen.
IV. Rechtsformen
Eine
gemeinsame Gesellschaft kann sowohl in privatrechtlicher Rechtsform (z.B.
GmbH), als auch in öffentlich-rechtlicher Rechtsform (z.B. Kommunalunternehmen)
gegründet werden (Art. 86 GO). Das Kommunalunternehmen als besondere Form der
Anstalt des öffentlichen Rechts bietet sich an, da hier keine private
Beteiligung möglich ist, die Gesellschaft also immer 100 % kommunal bleibt und
hoheitliche Aufgaben übertragen werden können. Das Kommunalunternehmen ist
dabei durch den starken Vorstand und die Vertretung der Kommunen im
Verwaltungsrat flexibel genug, um Projekte effizient voranzubringen.
Die Projektgesellschaften sind üblicherweise GmbH & Co.
KGs (v.a. vereinfachte Aufnahme von Gesellschaftern). An diesen Gesellschaften
können sich Dritte, auch Bürger über Bürgerenergiegenossenschaften (BEG)
unproblematisch beteiligen und die Finanzierung der Projekte unterstützen.
Beispielstruktur:
V. Kommunalrechtliche
Zulässigkeit
Die
Energieversorgung ist gemäß Art. 83 Abs. 1 BV originäre Aufgabe der Gemeinden
(kommunale Daseinsvorsorge) und daher von einem öffentlichen Zweck gemäß Art.
87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO gedeckt. Die Energieversorgung umfasst dabei auch die
Betätigung im Bereich der Energieerzeugung. Durch den neuen Art. 3 Abs. 6 Satz
2 BayKlimaG sind die Gemeinden und insbesondere auch die Landkreise in Bayern
bei der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer
Energien nicht (mehr) an die Deckung des voraussichtlichen Bedarfs in ihren
jeweiligen Gebieten gebunden. Gemeinden wie Landkreise dürfen sich daher im
Rahmen Ihrer Leistungsfähigkeit in der Energieerzeugung wirtschaftlich
betätigen und sich an Gesellschaften beteiligen.
B.
Umsetzung
I.
Weiteres Vorgehen / Beauftragung der
Gremienvertreter
Drei Vertreter aus der Reihe der Bürgermeister
werden gemeinsam mit dem Landkreis und die zu beauftragende Kanzlei Becker
Büttner Held ein passendes Umsetzungskonzept und Vertragswerk erarbeiten.
Über die Beteiligung an der Gesellschaft und
die Unterzeichnung der erarbeiteten Verträge wird in gesonderter Sitzung
Beschluss gefasst.
Beschluss:
Der Marktgemeinderat Schöllkrippen befürwortet grundsätzlich die gemeinsame Betätigung der Landkreiskommunen und des Landkreises im Bereich der Stromerzeugung und -versorgung und die hierfür erforderliche Gründung einer Gesellschaft in einer Organisationsform.
Abstimmung:
Ja-Stimmen |
15 |
Nein-Stimmen |
2 |
pers. beteiligt |
0 |